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Umfang und Grenzen des Schulungsanspruchs

Jugend- und Auszubildendenvertretung

Welche Rechte und Pflichten kann die Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) für sich selbst proklamieren und wo werden ihr rechtliche Grenzen gesetzt? Dieser Beitrag richtet den Fokus auf die Erforderlichkeit von Schulungen für JAV-Mitglieder i. S.d. §37 Abs.6 BetrVG. Außerdem soll exemplarisch anhand einer aktuellen Entscheidung des ArbG Frankfurt am Main aufgezeigt werden, wo die Grenzen der Erforderlichkeit von Schulungen für JAV-Mitglieder verlaufen.

Rechtsverhältnis zum Betriebsrat

In Betrieben mit i. d. R. mindestens fünf Arbeitnehmern, die das 18.Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder die zu ihrer Berufsbildung beschäftigt sind, werden Jugend- und Auszubildendenvertretungen gewählt, so zumindest die gesetzgeberische Intention. Jugendliche Arbeitnehmer und Auszubildende sollen dadurch ein eigenes Gremium im Betrieb erhalten. Ein Gremium, dessen primäre Aufgabe darin besteht, sämtliche Belange rund um die Berufsausbildung und damit einhergehende Fragestellungen zu artikulieren und an den Betriebsrat zu adressieren. Zwar hat der Gesetzgeber hinsichtlich der Jugend- und Auszubildendenvertretung allerlei geregelt – das BetrVG gönnt sich sogar einen eigenen Teil hierzu (§§60 bis 73b BetrVG) –, bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Jugend- und Auszubildendenvertretung – entgegen dem ersten Eindruck – dem Grunde nach lediglich als Sprachrohr für die jugendliche Arbeitnehmerschaft fungiert. Angelehnt an ein Eltern-Kind-Verhältnis kann die Jugend- und Auszubildendenvertretung nicht auf eigenen Beinen stehen; ihr bleibt somit die letzte konsequente Selbstständigkeit verwehrt.

Erforderlichkeit von Schulungen

Grundsätzlich kommen – bis auf ein paar wenige Ausnahmen – sämtliche Regelungen, die im Hinblick auf die Geschäftsführung für den Betriebsrat gelten, auch bei der Jugend- und Auszubildendenvertretung zur Anwendung. Aufgrund der gesetzlichen Verweisung entspricht es somit dem gesetzgeberischen Willen, dass sich Mitglieder einer Jugend- und Auszubildendenvertretung grundsätzlich schulen lassen dürfen. Selbstverständlich sind entsprechende Schulungs- und Bildungsveranstaltungen auch bei der Jugend- und Auszubildendenvertretung am Maßstab der Erforderlichkeit i. S. d. § 37 Abs. 6 BetrVG zu messen. Doch wann genau gilt die Schulung eines JAV-Mitglieds als erforderlich?

Einigkeit dürfte darin bestehen, dass die Erforderlichkeit von Schulungsmaßnahmen des Mitglieds einer Jugend- und Auszubildendenvertretung anders zu beurteilen ist als die Erforderlichkeit von Schulungsveranstaltungen für ein Betriebsratsmitglied. Hierbei ist zu beobachten, dass die Rechtsprechung die Erforderlichkeit der Teilnahme an einer Schulung eher restriktiv beurteilt. Dies ist insbesondere dem Umstand geschuldet, dass die Jugend- und Auszubildendenvertretung im Vergleich zum Betriebsrat einen deutlich eingeschränkteren Aufgaben- und Wirkungskreis hat. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Jugend- und Auszubildendenvertretung lediglich eine zweijährige – und damit im Vergleich zum Betriebsrat nur halb so lange – Amtszeit innehat. Andererseits gibt es aufgrund des Alters der Mitglieder einer Jugend- und Auszubildendenvertretung – wählbar sind lediglich Arbeitnehmer des Betriebs, die das 25.Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind – ein größeres Erfahrungsdefizit. In der Literatur wird daher zum Teil die Auffassung vertreten, dass dieser Umstand im Verhältnis zu einem Betriebsratsmitglied sogar einen erhöhten Schulungsbedarf bedinge.

Konsens gibt es dahingehend, dass von der Erforderlichkeit auszugehen ist, wenn die Schulung Kenntnisse über die Aufgaben der Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie die Rechte und Pflichten der Mitglieder einer Jugend- und Auszubildendenvertretung vermittelt (BAG, Beschl. v. 10.5.1974 – 1 ABR 60/73). Zum notwendigen Wissensstand des Mitglieds einer Jugend- und Auszubildendenvertretung zählen auch Grundkenntnisse hinsichtlich des BetrVG, sodass eine entsprechende Schulung als erforderlich angesehen werden muss. Von der Erforderlichkeit ist ebenfalls auszugehen, wenn eine Schulung die Aufgaben und Rechte der Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung behandelt. Das BAG vertritt sogar die Auffassung, dass Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung über den Gesundheitsschutz im Betrieb geschult werden müssen, soweit in der konkreten Veranstaltung der Jugendschutz im Mittelpunkt steht (BAG, Urt. v. 20.11.1973 – 1 AZR 331/73). Die Rechtsprechung stellt sich hingegen – trotz Kritik aus der Literatur – auf den Standpunkt, dass Kenntnisse des BBiG wegen dessen vorwiegend arbeitsvertraglicher Ausrichtung und des Jugendarbeitsschutzgesetzes wegen seiner „Lesbarkeit“ und des möglichen Eigenstudiums nicht „in diesem Umfang“ als erforderlich i. S. d. § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG anzusehen sind (BAG, Beschl. v. 10.5.1974 – 1 ABR 60/73). Umstritten ist weiterhin, ob allgemeine Kenntnisse des Arbeitsrechts erforderlich sind oder ob jugendliche Arbeitnehmer auf eine Schulung gem. §37 Abs.7 BetrVG angewiesen sind und damit für insgesamt drei Wochen zur Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, die von der zuständigen obersten Aufsichtsbehörde des Landes nach Beratung mit den Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände als geeignet anerkannt sind, freigestellt werden müssen. Die Rechtsprechung hat hingegen die Erforderlichkeit angenommen, wenn im Mittelpunkt der Schulung spezifisch junge Arbeitnehmer betreffende Fragen stehen (BAG, Beschl. v. 10.6.1975 – 1ABR 139/73). Abgelehnt wurde die Erforderlichkeit für ein nicht endgültig nachgerücktes Ersatzmitglied einer einköpfigen Jugend- und Auszubildendenvertretung (BAG, Beschl. v. 10.5.1974 – 1ABR47/73). Ebenso wurde die Erforderlichkeit der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung verneint, die thematisch auf Betriebsratsmitglieder zugeschnitten ist. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Schulungsinhalte im Einzelnen nur mit den Aufgaben, Rechten und Pflichten des Betriebsrats und der Betriebsratsmitglieder befassen und nur in der Eignungswidmung des Schulungsveranstalters darauf hingewiesen wird, dass sie für Betriebsräte, Jugend- und Auszubildendenvertretungen und Vertrauensleute nach § 37 Abs. 6 BetrVG besonders geeignet sei (LAG München, Beschl. v. 24.1.1995 – 8 TaBV 42/94).

Formale Voraussetzungen

Um ein Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung auf eine Schulung schicken zu dürfen, bedarf es eines Beschlusses des Betriebsrats, wobei an der Beschlussfassung die Jugend- und Auszubildendenvertretung zu beteiligen ist (BAG, Beschl. v. 15.1.1992 – 7 ABR 23/90). Von der Rechtsprechung gebilligt ist auch die Möglichkeit, dass der Betriebsrat auf einen Beschluss der Jugend- und Auszubildendenvertretung Bezug nimmt und dieser Beschluss seitens des Betriebsrats bestätigt wird. Denn darin sei ersichtlich, dass der Betriebsrat eine eigene Entscheidung treffen wolle (LAG Niedersachsen, Beschl. v. 31.1.2019 – 10 TaBVGa 6/19).

Der Arbeitgeber hat letztlich die Kosten für eine Schulungs- und Bildungsveranstaltung gem. § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen, sofern die Erforderlichkeit der Schulung anzunehmen ist. Dazu gehören auch die Fahrtkosten, die Kosten für Verpflegung und Übernachtung sowie angefallene Schulungsgebühren. Da sich derartige Kosten bekanntlich schnell einmal auf mehrere Tausend Euro belaufen können, lohnt es sich für den Arbeitgeber in jedem Fall, die Frage aufzuwerfen, ob denn der Besuch der konkret gewünschten Schulung erforderlich erscheint. In einem nunmehr vor dem ArbG Frankfurt geführten Beschlussverfahren hat der Arbeitgeber, ein Mitgliedsunternehmen unseres Verbands, genau dies getan und in erster Instanz Recht bekommen.

Fehlende Erforderlichkeit einer Rhetorikschulung

Der Betriebsrat eines unserer Mitgliedsunternehmen war der Auffassung, dass die Entsendung zweier Mitglieder der im Unternehmen gebildeten Jugend- und Auszubildendenvertretung auf ein mehrtägiges Rhetorikseminar im gewerkschaftseigenen Jugendbildungszentrum am Schliersee erforderlich i. S. d. § 37 Abs. 6 BetrVG sei. Der Betriebsrat fasste entsprechende Beschlüsse und forderte das Unternehmen auf, die beiden JAV-Mitglieder von den Kosten für das Seminar selbst, die Anreise und die Unterkunft freizustellen sowie die Ausbildungsvergütung während der Zeit des viertägigen Seminars weiterzuzahlen.

Für die Beurteilung der Frage, ob die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung erforderlich erscheint, war zunächst zu unterscheiden, ob es sich um eine Schulungsveranstaltung mit dem Ziel der Vermittlung von sog. Grundkenntnissen handelt, die das Gremiumsmitglied erst in die Lage versetzen soll, seine mit dem Amt verbundenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen oder ob es sich um eine andere Schulungsveranstaltung handelt. Ist Letzteres der Fall, ist ein aktueller betriebsbezogener Anlass erforderlich, der die Annahme zulässt, dass die in der Schulungsveranstaltung vermittelten Kenntnisse angesichts der Verhältnisse im Betrieb notwendig sind, um die gegenwärtigen oder in naher Zukunft im Gremium anstehenden Aufgaben sach- und fachgerecht zu erfüllen (vgl. BAG, Urt. v. 7.5.2008 – 7 AZR 90/07). Die erkennende 9. Kammer des ArbG Frankfurt am Main hat im streitgegenständlichen Verfahren (Beschl. v. 29.6.2022 – 9 BV 284/22) entschieden, dass es sich bei der Schulungsveranstaltung „Rhetorik – Gespräche überzeugend führen“ nicht um eine Schulung zur Vermittlung von Grundkenntnissen handele. Rhetorikkenntnisse stellen kein Grundwissen im Betriebsverfassungsrecht, im allgemeinen Arbeitsrecht oder im Bereich der Arbeitssicherheit und Unfallverhütung dar. Sie seien nicht unabdingbare Voraussetzung der Amtsausübung, auch wenn eine Schulungsveranstaltung mit dem Ziel der Vermittlung rhetorischer Kenntnisse für die Entwicklung kommunikativer Fähigkeiten i. d. R. generell und damit auch im Rahmen der Amtsausübung hilfreich sein könne. Bei Rhetorikschulungen könne daher nicht allgemein davon ausgegangen werden, dass der Betriebsrat oder die Jugend- und Auszubildendenvertretung seine bzw. ihre gesetzlichen Aufgaben nur dann sach- und fachgerecht erfüllen könne, wenn jedes Gremiumsmitglied über die entsprechenden Kenntnisse verfüge. Der Erwerb rhetorischer Fähigkeiten erfülle vielmehr den Charakter einer Schlüsselqualifikation, für deren Erwerb ein aktueller betriebsbezogener Anlass bestehen müsse. Zwar könne auch die Teilnahme an einer Rhetorikschulung grundsätzlich gem. § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlich sein. Die Annahme der Erforderlichkeit setze jedoch voraus, dass sich der Schulungsbedarf aus einem aktuellen oder absehbaren betrieblichen oder betriebsratsbezogenen Anlass ergebe. Es müsse ersichtlich sein, weshalb gerade die zur Schulung entsandten Mitglieder des Gremiums die dort vermittelten Kenntnisse brauchen, um die gesetzlichen Aufgaben wahrzunehmen (BAG, Beschl. v. 12.1.2011 – 7 ABR 94/09).

Unter Berücksichtigung dieser Umstände habe man im streitgegenständlichen Verfahren nicht davon ausgehen können, dass die Teilnahme der Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung an der Rhetorikschulung erforderlich sei. Dass eine rhetorische Schulung für die Amtsausübung förderlich sein könne, genüge unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BAG nicht zur Annahme der Erforderlichkeit einer Rhetorikschulung. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die beiden JAV-Mitglieder weder Vorsitzender noch stellvertretender Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung sind bzw. waren. Ihnen komme daher nicht die regelmäßige Aufgabe zu, ein größeres Gremium zu leiten. Ebenfalls genüge für die Annahme der Erforderlichkeit nicht der Vortrag des Betriebsrats, dass die Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung in den Arbeitskreisen Öffentlichkeitsarbeit und Übernahmesicherung tätig seien.

Die Ausübung der Tätigkeit als Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung innerhalb des Gremiums in Arbeitskreisen oder in den Sitzungen des Gremiums könne nach der Beschlussbegründung nicht nur nach einer entsprechenden Schulungsteilnahme sinnvoll ausgeübt werden. Dies gelte auch für die von der Jugend- und Auszubildendenvertretung angebotenen Sprechstunden für Auszubildende, die die Gremiumsmitglieder im Wechsel anbieten. Soweit der Betriebsrat die Erforderlichkeit im Rahmen des Verfahrens damit begründet hat, rhetorische Kenntnisse seien insbesondere erforderlich, um sich in Verhandlungen über Betriebsvereinbarungen artikulieren zu können, vermag auch dies die Erforderlichkeit nicht zu begründen. Die Teilnahme an Betriebsvereinbarungsverhandlungen und auch insoweit erfolgende Redebeiträge genügen nicht, um besondere, die Erforderlichkeit begründende Umstände darzustellen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Verhandlungen über Betriebsvereinbarungen zunächst zwischen dem Betriebsrat und der Arbeitgeberin geführt werden. Auch die Teilnahme an achtmal jährlich stattfindenden Meetings zwischen der Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Arbeitgeberin lasse eine Rhetorikschulung nicht erforderlich erscheinen. Der Arbeit im Gremium sei es vielmehr immanent, dass es zu Treffen und Gesprächsrunden mit der Arbeitgeberin oder anderen Teilnehmenden komme, die nicht nur nach rhetorischer Schulung aller Gremiumsmitglieder sachgerecht durchgeführt werden können. Dies gelte auch für die Teilnahme an Betriebsversammlungen oder Auszubildendenversammlungen, selbst wenn dies mit Redebeiträgen oder Reden der betroffenen JAV-Mitglieder verbunden sein sollte.

Im Ergebnis waren die Anträge des Betriebsrats aus vorgenannten Gründen zurückzuweisen.

Formale Voraussetzungen

Der Begründung des Beschlusses ist zuzustimmen. Der Betriebsrat verkennt in eklatanter Weise, dass nicht jede Schulung, die für ein Gremiumsmitglied vermeintlich nützlich sein mag, auch gleichzeitig erforderlich i. S. d. § 37 Abs. 6 BetrVG sein muss. Insbesondere hat der Betriebsrat völlig außer Acht gelassen, dass die Jugend- und Auszubildendenvertretung nicht „auf Augenhöhe“ mit der Arbeitgeberin verhandelt bzw. verhandeln muss. Dies ist Aufgabe des Betriebsrats. Für ein solches „Mandat“ fehlt es bereits an einer gesetzlichen Grundlage. Der Beschluss des ArbG Frankfurt am Main ist noch nicht rechtskräftig. Der Betriebsrat hat gegen die Entscheidung aus Juni 2022 Beschwerde zum LAG Hessen (16 TaBV 100/22) eingelegt. Mit einer Entscheidung ist frühestens Anfang 2023 zu rechnen.