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Pflicht zur Entgeltfortzahlung

Grundlagen und Handlungsmöglichkeiten

Der Beitrag gibt einen groben Überblick über das gesetzgeberische Verständnis der Entgeltfortzahlungspflicht und zeigt auf, wie die Gerichte im Laufe der Zeit wichtige Hinweise für die Anwendung in der gelebten Praxis erteilt haben und welche Folgen für die Arbeitgeber hieraus resultieren.

Einführung

Mit dem Inkrafttreten des Entgeltfortzahlungsgesetzes im Jahr 1994 beabsichtigten die Bundestagsfraktionen der damaligen Regierungsparteien eine umfassende Neugestaltung der Entgeltsicherung im Krankheitsfall für Arbeitnehmer. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand ein zersplittertes und nach einzelnen Arbeitnehmergruppen differenziertes Lohnfortzahlungssystem, das schließlich mit dem Entgeltfortzahlungsgesetz auf eine einheitliche Rechtsgrundlage gestellt werden und die verfassungswidrige Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten beseitigen sollte. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber eine Selbstbeteiligung der Arbeitnehmer an den Kosten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall eingeführt, um Missbrauch zu bekämpfen und einen Ausgleich der Mehrbelastungen für die Arbeitgeber durch die Einführung der Pflegeversicherung zu leisten. Während der Gesetzgeber die Beitragsleistungen zur Pflegeversicherung regelmäßigen Änderungen unterwarf – seit dem 1.7.2023 gelten bekanntlich neue Beitragssätze zur Pflegeversicherung gestaffelt nach der jeweiligen Kinderanzahl der Arbeitnehmer –, ist die Entgeltfortzahlungsverpflichtung für den Arbeitgeber seit knapp drei Jahrzehnten nahezu unberührt geblieben. § 3 Abs. 1 EFZG besagt: Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Wird der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, so verliert er wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Anspruch nach Satz 1 für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht, wenn (1) er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder (2) seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist. Obwohl die Regelung vergleichsweise trivial anmutet, war sie – so auch jüngst – Gegenstand zahlreicher Rechtsstreite, die teilweise durchaus beachtliche Entscheidungen mit sich brachten.

Anspruch auf Entgeltfortzahlung

Vergleichsweise unbekannt ist, dass die Anspruchsverpflichtung zur Entgeltfortzahlung bei bestehender Arbeitsunfähigkeit erst nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses eintritt (§ 3 Abs. 3 EFZG). Mit dieser Regelung verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die Arbeitgeber zu entlasten und das Prinzip von Leistung und Gegenleistung stärker zu betonen. Schließlich erschien es als unbillig, dem Arbeitgeber die Kosten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aufzubürden, wenn ein gerade neu eingestellter Arbeitnehmerkrankheitsbedingt ausfällt (BT-Drs. 13/4612, S. 11). Rechtlich umstritten ist bis heute, welche Auswirkungen Erkrankungen in den ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses haben. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass diese Zeiten auf die sechswöchige Entgeltfortzahlungsverpflichtung angerechnet werden können, sodass der Arbeitgeber – sollte der Arbeitnehmer längerfristig arbeitsunfähig erkrankt sein – rechnerisch lediglich für zwei Wochen das Arbeitsentgelt fortzuzahlen hätte. Diese Auffassung wird jedoch von der wohl herrschenden Ansicht in der juristischen Fachliteratur und der Rechtsprechung mit dem Argument abgelehnt, dass § 3 Abs. 3 EFZG eine Tatbestandsvoraussetzung regele, während die Dauer der Entgeltfortzahlung die Rechtsfolge betreffe. In der Praxis scheint diese Diskussion den Erfahrungen nach – zumindest in größeren Unternehmungen – eine vergleichsweise untergeordnete Rolle zu spielen. Viele Firmen leisten bereits ab dem ersten Tag des Bestehens des Arbeitsverhältnisses das Entgelt fort, sofern der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankt sein sollte. Hinzu kommt, dass beim Entstehen nennenswerter Arbeitsunfähigkeitszeiten bereits zu Beginn von Arbeitsverhältnissen oftmals die Frage aufgeworfen wird, ob man sich von diesem Arbeitnehmer nicht lieber wiederinnerhalb der sechsmonatigen Wartezeit trennen sollte. Entscheidend für den Entgeltfortzahlungsanspruch ist jedoch in jedem Fall, dass die Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit eintritt. Bereits der Gesetzesformulierung ist zu entnehmen, dass die Begrifflichkeiten der „Arbeitsunfähigkeit“ und der „Krankheit“ nicht deckungsgleich zu verstehen sind. Da der Gesetzgeber diese beiden Begriffe – bereits vor Inkrafttreten des Entgeltfortzahlungsgesetzes – nicht näher definiert hat, sah es die Rechtsprechung als ihre Aufgabe an, diesbzgl. für Klarheit zu sorgen:

  • Demnach ist „Krankheit“ jeder regelwidrige körperliche oder geistige Zustand, d. h. jedes körperlich organische (physische) oder auch seelische (psychische) Fehlverhalten, das einer Heilbehandlung bedarf (BAG, Urt. v. 9.1.1985 – 5 AZR 415/82).
  • Von einer „Arbeitsunfähigkeit“ ist wiederum dann die Rede, wenn ein Krankheitsgeschehen vorliegt, das den Arbeitnehmer außerstande setzt, die ihm nach dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses obliegende Arbeit zu verrichten, oder bei dem er diese Arbeit nur unter Gefahr, in absehbarer Zeit seinen Zustand zu verschlimmern, fortsetzen könnte (BAG, Urt. v. 26.7.1989 – 5 AZR 301/88).

Diese Unterscheidung ist wichtig, denn aus ihr folgt, dass der Arbeitgeber nicht automatisch das Entgelt fortzuzahlen hat, wenn der Arbeitnehmer erkrankt ist. Mit anderen Worten: Der Arbeitnehmer kann trotz einer bestehenden Erkrankung weiterhin arbeitsfähig sein. Wenn also z. B. ein Arbeitnehmer, der einen Bürojob ausübt, sich sein Bein bricht und eine Beinhochlagerung ärztlich nicht indiziert wurde, so dürfte der Arbeitnehmer im Regelfall im Stande sein, seine Arbeitsleistung ordnungsgemäß zu erbringen; Arbeitsunfähigkeit liegt somit nicht vor. Einem Arbeitnehmer, der nahezu ausschließlich im Stehen seiner Arbeitsleistung nachkommt, dürfte hingegen die Arbeitsunfähigkeit wohl kaum abzusprechen sein. Es kommt somit – wie so oft – auf den jeweiligen Einzelfall an. Für den Entgeltfortzahlungsanspruch erforderlich ist jedoch, dass allein die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit für die Arbeitsverhinderung ursächlich ist (sog. „Grundsatz der Monokausalität“). Rührt die Arbeitsunfähigkeit aus einer anderen Ursache her, besteht somit kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Verschulden

Unabdingbare Voraussetzung für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung ist, dass den Arbeitnehmer im Hinblick auf die Arbeitsunfähigkeit kein Verschulden trifft. Hiervon wäre auszugehen, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit bewusst herbeiführt, indem er sich besonders leichtfertig, grob fahrlässig oder gar vorsätzlich Gefahren für die Gesundheit ausgesetzt hat. Die Rechtsprechung bedient sich bei der Feststellung, ob ein Verschulden vorliegt, diverser Fallbeispiele.

Bei Sportunfällen geht die Rechtsprechung grundsätzlich nicht von einem Verschulden des Arbeitnehmers aus. Hintergrund ist, dass es – insbesondere auch politisch – gewollt ist, dass sich die Menschen sportlich betätigen, um damit einem (persönlichen) Beitrag zu einem gesunden Leben nicht unnötig im Wege zu stehen. Dieser Grundsatz gilt selbst dann, wenn es sich um eine Sportart handelt, bei der die Gefahren von Unfällen nicht auszuschließen sind. Beispielhaft könnte hier der Handballsport, der durchaus verletzungsträchtig betrieben werden kann, zu nennen sein. Ausnahmsweise gilt allerdings etwas anderes, wenn der Arbeitnehmer sich in einer seine Kräfte und Fähigkeiten deutlich übersteigenden Weise sportlich betätigt oder in besonders grober Weise und leichtsinnig gegen anerkannte Regeln der jeweiligen Sportart verstoßen hat. Entscheidet sich also bspw. ein unter einem chronischen und schwerwiegenden Herzleiden erkrankter Arbeitnehmer für die Teilnahme an einem Marathon, ohne zuvor entsprechend trainiert zu haben, und erleidet nach kurzer Strecke einen Kreislaufzusammenbruch, infolgedessen ein dreiwöchiger Krankhausaufenthalt resultiert, so hätte der Arbeitgeber die Möglichkeit, sich gegen die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu entscheiden. Diese Entscheidungsmöglichkeit hätte er auch, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der vorsätzlich oder grob fahrlässigen Missachtung von Verkehrsregeln einen Verkehrsunfall verursacht und dadurch sein Leben oder die Gesundheit leichtfertig riskiert hat (z. B. Trunkenheit am Steuer). Selbst operative Eingriffe bedeuten nicht automatisch, dass der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist. Handelt es sich bei der Operation um einen nicht medizinisch indizierten plastischen Eingriff (sog. „Schönheits-OP“), so ist für die damit einhergehende Arbeitsunfähigkeit kein Arbeitsentgelt fortzuzahlen, selbst dann nicht, wenn die Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Komplikation aus dieser Operation resultiert.

 Selbstverständlich muss der Arbeitgeber erst einmal Kenntnis von den vorgenannten Umständen erhalten. Erfahrungsgemäß tritt dies jedoch häufiger ein als gemeinhin angenommen. Hier ist oftmals auf den „Flurfunk“ Verlass. Dies dürfte bei Arbeitsunfällen hingegen weniger problematisch sein, bei denen der Arbeitgeber zwangsläufig von der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers Kenntnis erlangt. Und auch wenn man auf den ersten Blick vermuten könnte, dass bei Arbeitsunfällen regelmäßig kein Verschulden vorliegt, so ist dies unzutreffend, wenn der Arbeitnehmer gröblich gegen die Anordnung des Arbeitgebers oder gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen hat. Bei einem von uns betreuten Rechtsstreit traf dies zu. Das zuständige Arbeitsgericht teilte unsere Rechtsauffassung, dass ein in Nachtschicht beschäftigter Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat, wenn er an einer Säge, für die er keinen Berechtigungsschein besitzt, Holz, das eigentlich zum Fixieren für Metallröhren verwendet werden sollte, für den heimischen Kamin zurechtschneidet, abrutscht und sich den Daumen absägt.

Fortsetzungszusammenhang

Von der grundsätzlichen Pflicht des Arbeitgebers, im Falle der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers Entgeltfortzahlung zu leisten, sieht das Gesetz in § 3 Satz 2 EFZG eine Ausnahme vor. Wird der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, so verliert er wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich den Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach sechs Wochen. Eine solche Fortsetzungserkrankung liegt vor, wenn sich eine neu auftretende Erkrankung als Fortsetzung einer früheren Erkrankung darstellt, dem ein noch nicht ausgeheiltes Grundleiden zugrunde liegt.

Dies ist zu bejahen, wenn die neu auftretende Erkrankung eine Folgewirkung des Grundleidens ist. Als sog. Grundleiden kommen unzählige (chronische) Krankheitsbilder in Betracht. So kann bspw. eine Rheumaerkrankung dazu führen, dass sog. Rheumaschübe sich schmerzhaft auf unterschiedliche Körperregionen auswirken. Wenn der Arbeitnehmer etwa zunächst vier Wochen wegen starker Schmerzen in den Beinen und Füßen und dann aufgrund von ebenso starken Schmerzen in den Armen und Händen arbeitsunfähig erkrankt ist, würde die Pflicht zur Entgeltfortzahlung nach sechs Wochenenden und nicht acht Wochen bestehen, obwohl unterschiedliche Körperregionen betroffen sind.

Von dem Grundsatz, dass die Entgeltfortzahlungspflicht im Falle einer Fortsetzungserkrankung nach sechs Wochen endet, hat der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 und 2 EFZG zwei Ausnahmen gemacht.

  1. Der Arbeitnehmer war vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig.
  2. Seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit ist eine Frist von zwölf Monaten verstrichen.

Beispiel für einen Fall gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 2 EFZG: Der Arbeitnehmer erkrankt am 1.7. bis zum 31.5. des Folgejahres an derselben Krankheit. Dann erkrankt er zwei Monate später, also ab dem 1.8., an einer Folgeerkrankung. Weil seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit mehr als zwölf Monate (im vorliegenden Beispiel nämlich 13 Monate) vergangen sind, entsteht am 1.8. ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen trotz Vorliegens einer Folgeerkrankung.

Einheit des Versicherungsfalls

Es ist eine weitere Konstellation denkbar, bei deren Vorliegen die Pflicht des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung nach sechs Wochen endet, obwohl es sich um zwei völlig unterschiedliche Erkrankungen handelt, die nicht auf ein Grundleiden zurückzuführen sind. Es handelt sich hierbei um den Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalls. Beispiel: Ein Arbeitnehmer infiziert sich mit dem Coronavirus und erkrankt sodann an Covid-19. Dies führt zu einer attestierten Arbeitsunfähigkeit für einen Zeitraum von fünf Wochen. Während dieser Covid-Erkrankung bricht sich der Arbeitnehmer nach vier Wochen den linken Knöchel bei einem Waldspaziergang, was wiederum zu einer fünfwöchigen Arbeitsunfähigkeit führt. Der Arbeitnehmer ist also in Summe neun Wochen am Stück arbeitsunfähig erkrankt. Im Ergebnis besteht nur Anspruch auf sechs Wochen Entgeltfortzahlung, obwohl es sich um zwei völlig unterschiedliche Erkrankungen handelt. Grund hierfür ist, dass das Gesetz den Entgeltfortzahlungsanspruch für die Zeit der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit gewährt, nicht für die Zeit der jeweils vorliegenden Erkrankung.

Erschütterung des Beweiswerts

Nach der Rechtsprechung des BAG kommt einer ordnungsgemäß durch einen Arzt ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per se ein hoher Beweiswert zu. Für den Arbeitgeber stellt sich bei aufkommenden Zweifeln hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nun die Frage, wann und wie dieser hohe Beweiswert durch den Arbeitgeber erschüttert werden kann. Nachfolgend werden im Rahmen von jüngst entschiedenen Verfahren Konstellationen dargestellt, bei deren Vorliegen der Beweiswert erschüttert sein kann und es sich für den Arbeitgeber „lohnen“ könnte, genauer hinzuschauen und ggf. die Entgeltfortzahlung zu verweigern:

  • Das LAG Niedersachsen hat im Februar dieses Jahres entschieden, dass im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen u. U. dadurch erschüttert sein kann, dass diese sich durchgängig (nahezu) genau über die letzten sechs Wochen vor dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses erstrecken (LAG Niedersachsen, Urt. v. 22.2.2023 – 8 Sa 713/22).
  • Nach Auffassung des LAG Mecklenburg-Vorpommern ist der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann erschüttert, wenn nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers belastbare Tatsachen vorliegen, die erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegen. Diese ernsthaften Zweifel sah das Gericht allerdings nicht darin, dass das Büro des erkrankten Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Krankmeldung aufgeräumt war, der Büroschlüssel bzw. der Schlüssel für den medizinischen Aktenschrank zurückgelassen wurde und das Ende der Arbeitsunfähigkeit auf einen Donnerstag attestiert war. Hierbei handelte es sich nach Auffassung des Gerichts um objektiv mehrdeutig plausibel erklärbare Sachverhalte (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 8.2.2023 – 3 Sa 135/22).
  • Aus Sicht des BAG erfordert die Erschütterung des Beweiswerts wegen sog. Passgenauigkeit von bescheinigter Arbeitsunfähigkeit und verbleibender Dauer des Arbeitsverhältnisses eine taggenaue Passgenauigkeit. Fraglich ist, wie die Konstellation zu beurteilen ist, in der der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung für einige Tage seine Arbeitsleistung erbringt und die Erstbescheinigung zudem nicht die gesamte Dauer der Kündigungsfrist abdeckt (BAG, Urt. v. 8.9.2021 – 5 AZR 149/21).
  • Das ArbG Neumünster hat sich der viel zitierten BAG-Entscheidung aus September 2021 angeschlossen und diese marginal weiterentwickelt. Das Gericht ging davon aus, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Falle der passgenauen Attestierung auch dann erschüttert ist, wenn die gesamte Dauer der verbleibenden Kündigungsfrist durch eine Erst- und mehrere Folgebescheinigungen abgedeckt wird (ArbG Neumünster, Urt. v. 23.9.2022 – 1 Ca 20b/22 [nicht rechtskräftig]).
Fazit

Bei der gesetzlich vorgeschriebenen sechswöchigen Entgeltfortzahlungsverpflichtung hat der Arbeitgeber durchaus Spielräume. Es lohnt sich, in bestimmten Fällen nachzufassen und zu prüfen, ob tatsächlich die Voraussetzungen für den Anspruch gegeben sind. Eine besonders wichtige Rolle dürften hierbei die Krankenkassen einnehmen, die über ein größeres Wissen hinsichtlich der Hintergründe der jeweiligen Erkrankungen verfügen, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben. Dass die Krankenkassen von sich aus auf den Arbeitgeber zugehen und über bestimmte Umstände aufklären, die den Arbeitgeber begünstigen würden, ist unrealistisch. Schließlich verfolgen die Krankenkassen ein eigenes Kostenminimierungsinteresse.

In unserer täglichen Beratungspraxis sehen wir uns regelmäßig mit Fällen konfrontiert, in denen Arbeitnehmer über mehrere Monate, manchmal gar Jahre, immer wieder neue Erstbescheinigungen beibringen und so nicht – oder nur für kurze Zeit – aus der Entgeltfortzahlung „herausfallen“. In diesen Fällen, in denen die Arbeitnehmer – mitunter sehr kreativ – immer wieder neue Krankheitsbilder entwickeln, die sie interessanterweise von ständig wechselnden Allgemeinmedizinern attestieren lassen, lohnt seitens des Arbeitgebers ein genauer Blick und – im Falle von gesetzlich Versicherten – die Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen.

Bestehen große Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bzw. dem Vorliegen der Voraussetzungen des Entgeltfortzahlungsanspruchs, bleibt dem Arbeitgeber oft keine andere Möglichkeit, als die Entgeltfortzahlung vorläufig einzustellen, auch wenn dies sehr wahrscheinlich im Gros der Fälle auf eine gerichtliche Auseinandersetzung hinauslaufen dürfte.

 Die jüngste Rechtsprechung zum Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, insbesondere das Urteil des BAG aus September 2021 zur sog. Passgenauigkeit, zeigt bei näherer Betracht, dass es sich hierbei nicht um eine bahnbrechende Weiterentwicklung der Rechtsprechung handelt. Stattdessen hat das BAG in begrüßenswerter Weise den Arbeitgeber mit seinen offensichtlichen Zweifeln an der Rechtsmäßigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gehört und den per se hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert angesehen. Es bleibt zu hoffen, dass die Instanzgerichte – vielleicht animiert durch das BAG-Urteil – bei mehr oder weniger offensichtlichen Zweifeln künftig den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kritischer hinterfragen und den Arbeitnehmer hinsichtlich seiner Darlegungslast mehr in die Pflicht nehmen.