Gebot des fairen Verhandelns
„Pacta sunt servanda“ – dieser auch über die Mauern der juristischen Fakultäten hinaus bekannte Grundsatz ist eigentlich simpel: Besteht zwischen zwei Parteien Konsens über eine bestimmte Angelegenheit und wird hierüber eine Vereinbarung getroffen, so sind beide Parteien grundsätzlich an diesen Inhalt gebunden und verpflichtet, den geschlossenen Vertrag einzuhalten, indem man die jeweils eingegangenen Verpflichtungen erfüllt. Insoweit erfreut sich der Abschluss eines Aufhebungsvertrags großer Beliebtheit.
Die Vorteile liegen auf der Hand
Angesichts der strengen Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung stellt, erscheint der Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung aufgrund seiner vermeintlichen Rechtssicherheit im Vergleich zur einseitigen Kündigung, die auf Seiten des Arbeitgebers in aller Regel mit nicht unerheblichen Prozessrisiken verbunden ist, als transparent, vorherseh- und planbar. Dies resultiert insbesondere daraus, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Wirksamkeit einer Kündigung zunächst einmal auf Arbeitgeberseite liegt.
Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags lässt dieses Prozessrisiko entfallen, kommt es doch erst gar nicht zum Rechtsstreit. Der Arbeitgeber hat die Sicherheit, dass das Arbeitsverhältnis zum ausgehandelten Zeitpunkt endet. Die Motivation der Arbeitnehmerseite rührt insbesondere daraus, dass man sich einen nervenaufreibenden Kündigungsschutzprozess erspart sowie einen Schlussstrich ziehen und so besser in die berufliche Zukunft blicken kann. In den meisten Fällen dürfte bereits eine Anschlussbeschäftigung in Aussicht stehen. Außerdem beinhalten die allermeisten Aufhebungsvereinbarungen eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes.
Dies vorausgeschickt waren und sind Aufhebungsverträge ein probates Mittel, in einer – verglichen mit der Dauer eines Kündigungsschutzverfahrens – sehr kurzen Zeit Rechtssicherheit und damit Planbarkeit für alle Beteiligten herzustellen. Doch was ist heute noch (rechts-)sicher? Diese Frage musste sich eine zunehmende Arbeitgeberzahl in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit Aufhebungsverträgen stellen. Schließlich hat die obergerichtliche Rechtsprechung in der jüngeren Vergangenheit vermeintlich dafür gesorgt, die Institution „Aufhebungsvertrag“ an einigen Stellen ins Wanken zu bringen.
Rechtsprechung
Im Grunde hat alles ganz „harmlos“ begonnen. Anfang der 2000er-Jahre setzte sich das BAG erstmalig mit dem in der Literatur entwickelten Rechtsgedanken des Gebots fairen Verhandelns auseinander, wenn auch nur beiläufig. In seiner Entscheidung vom 3.6.2004 (2 AZR 427/03) geht das BAG auf die eigentliche Thematik noch nicht weiter ein, sondern stellt in auffallend knapper Form fest, dass es in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall keine Anhaltspunkte für ein unfaires Verhandeln gegeben habe. Was damals für das BAG nicht mehr wert war als ein bloßer Randvermerk, schaffte es in einem im Jahr 2019 zu entscheidenden Fall (BAG, Urt. v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, AuA 10/19, S. 616) immerhin bis in die Leitsätze. Dort heißt es:
„Ein Aufhebungsvertrag ist unwirksam, wenn er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist. Dieses Gebot ist eine bei den Vertragsverhandlungen zu beachtende Nebenpflicht. Sie wird verletzt, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schafft oder ausnutzt, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwert oder unmöglich macht. Der unfair behandelte Vertragspartner ist so zu stellen, als hätte er den Vertrag nicht geschlossen.“
Diese Entwicklung war nicht vorhersehbar, da das Gebot fairen Verhandelns bisweilen nur gelegentlich bei den Instanzgerichten Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten war. Im Jahr 2015 sah das ArbG Berlin (Urt. v. 30.1.2015 – 28 Ca 12971/14) das Gebot fairen Verhandelns verletzt, wenn dem Arbeitnehmer im Vorfeld eines Personalgesprächs nicht der Anlass des Gesprächs mitgeteilt wurde und dem Arbeitnehmer somit die Möglichkeit versagt werde, einen Rechtsbeistand zum Gespräch mitzunehmen. Ähnlich argumentierte das ArbG Paderborn (Urt. v. 3.8.2020 – 2 Ca 1619/19), indem es davon ausging, dass es keine Waffengleichheit zwischen zwei einen Aufhebungsvertrag schließenden Parteien gebe, wenn der Arbeitgeber das Personalgespräch von einem Anwalt führen lasse und dem Arbeitnehmer im Gegensatz hierzu das Recht nicht eingeräumt werde, ebenfalls einen Anwalt zum Gespräch hinzuzuziehen. Das LAG Hamm folgte dieser Rechtsauffassung allerdings nicht, sodass der Aufhebungsvertrag als wirksam erachtet wurde. Auch das ArbG Mainz sowie die Berufungsinstanz, das LAG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 12.7.2006 – 9 Sa 324/06), sahen keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns in einem vergleichbaren Fall.
Vor diesem uneinheitlich anmutenden Hintergrund ist es für den Rechtsanwender umso schwerer, die Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2019 rechtlich einzuordnen. Welche Folgen hat die Entscheidung für die betriebliche Praxis? Hat das BAG die Büchse der Pandora geöffnet und in einem Bereich, der eigentlich „sicher“ zu sein schien, neue Rechtsunsicherheit geschaffen? Eignet sich der Abschluss eines Aufhebungsvertrags überhaupt noch dazu, ein Arbeitsverhältnis zwischen zwei Arbeitsvertragsparteien rechtswirksam zu beenden oder kann dies mit einer (bösen) Überraschung verbunden sein?
Isoliert betrachtet lassen die Leitsätze den Rückschluss zu, dass allein die Schaffung oder die Ausnutzung einer Drucksituation dazu ausreicht, die Unwirksamkeit eines Aufhebungsvertrags aufgrund eines damit einhergehenden unfairen Verhandelns anzunehmen. Dies wäre zumindest ein sehr breites und rein vom Wortlaut her abgeleitetes Verständnis und würde bedeuten, dass die Mehrzahl der Aufhebungsverträge unter dem Damoklesschwert der Unwirksamkeit stünde. Schließlich werden in der Praxis die meisten Aufhebungsverträge in den Fällen abgeschlossen, in denen eine arbeitgeberseitige Kündigung im Raum steht oder der Arbeitnehmer davon ausgehen muss, dass der Arbeitgeber nicht mehr mit ihm planen möchte. In derartigen Situationen existiert fast immer eine Drucksituation zulasten des Arbeitnehmers, indem er vor die Wahl gestellt wird, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zu beenden oder damit rechnen zu müssen, dass es in der Folgezeit „ungemütlich“ werden könnte. So war es jedenfalls in dem zugrunde liegenden Fall des BAG. Die Klägerin war seit dem 1.7.2014 als Reinigungshilfe bei der Beklagten beschäftigt. Am 15.2.2016 suchte der Lebensgefährte der Beklagten als deren Vertreter die Klägerin zu Hause auf und bot ihr den Abschluss eines Aufhebungsvertrags an. Eine Abfindung sollte nicht gezahlt werden. Die Klägerin unterschrieb den Vertrag und erklärte zwei Tage später die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und Drohung, hilfsweise den Widerruf. Sie behauptete, am 15.2.2016 unter dem Einfluss von Schmerzmitteln „im Tran“ unterschrieben zu haben, was die Beklagte bestritt. Sie behauptete wiederum, die Klägerin habe noch am Vormittag des 15.2.2016 telefonisch um die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses gebeten. Unabhängig von der erneuten ausdrücklichen Feststellung des BAG, dass es sich auch in dieser Konstellation um keinen Verbrauchervertrag i. S. d. § 310 Abs. 3 BGB handelte und somit kein Widerrufsrecht gem. § 355 Abs. 1 i.V.m. §§ 312g Abs. 1, 312b BGB zum Tragen kam, erörtert der Senat ausführlich, ob ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns in Betracht kommt. Danach liegt eine Verhandlungssituation vor, die als unfair zu bewerten ist, „wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder unmöglich macht. […] Dies kann durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken, geschehen. […] Denkbar ist auch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse. Die Nutzung eines Überraschungsmoments kann ebenfalls die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen (Überrumpelung). Letztlich ist die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall am Maßstab des § 241 Abs. 2 BGB zu bewerten und von einer bloßen Vertragsreue abzugrenzen.“
Die ersten Landesarbeitsgerichte haben die Entscheidung jedenfalls registriert. Das LAG Berlin-Brandenburg setzte sich mit Urteil vom 19.12.2019 (10 Sa 1319/19) zwar nur kurz mit dem Urteil des BAG vom 7.2.2019 auseinander, zog allerdings eine Analogie des Gebots fairen Verhandelns beim Abschluss von Vertragsänderungen, bei denen es nach Ansicht des Gerichts ebenfalls zu vergleichbaren unfairen Verhandlungssituationen kommen könnte. In einem Fall des LAG Mecklenburg Vorpommern (Urt. v. 19.5.2020 – 5 Sa 173/19) gingen die Richter von einem Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns aus, weil einem arbeitsunfähigen Mitarbeiter die Einräumung einer Bedenkzeit für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags abgelehnt wurde. Das LAG Hamm (Urt. v. 17.5.2021 – 18 Sa 1124/20) hingegen lehnte in der bereits erwähnten Entscheidung einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns ab, wenn der Arbeitgeber einen Rechtsanwalt zu den Vertragsverhandlungen hinzuzieht, einen Aufhebungsvertrag vorlegt, der nur sofort abgeschlossen werden kann und dies mit der – im Streitfall nicht widerrechtlichen – Drohung verbindet, er werde eine fristlose Kündigung aussprechen und Strafanzeige erstatten. Das LAG Hamm hat gegen das Urteil die Revision zugelassen, sodass mit Spannung erwartet werden kann, ob das BAG seine bisherige Rechtsprechung fortentwickelt oder – was zu begrüßen wäre – näher konkretisiert oder gar einschränkt.
Überblick über die Literaturmeinungen
Die Ursprünge des Gebots fairen Verhandelns lassen sich wohl auf Prof. Dr. Stephan Lorenz zurückführen, der Ende der 90er-Jahre einen Beitrag hierzu veröffentlichte. Lorenz knüpfte dabei an den im anglo-amerikanischen Recht bestehenden Grundsatz der „unzulässigen Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit“ (sog. „Undue Influence“) an, aus der Willensbeeinflussungen in der vorkonsensualen Phase bewältigt werden und vom Gesetzgeber nicht erfasst worden sind. Wenn man so will, war dies der Versuch, ein weiteres Element der Willensbeeinflussung in die Rechtsanwendung aufzunehmen, das nachrangig zur Geschäftsfähigkeit, Anfechtung und Sittenwidrigkeit steht. Ähnlich wie in der Rechtsprechung kann man hierzu ergangene Fachartikel jedoch nahezu an einer Hand abzählen, zumindest wenn man diese für den Zeitraum vor der maßgeblichen Entscheidung des BAG sucht. Mit der Entscheidung vom 7.2.2019 hat das BAG sodann eine Flut von Fachbeiträgen verursacht, die sich primär darum drehen, wie die Rechtsfigur des Gebots fairen Verhandelns dogmatisch überhaupt hergeleitet werden soll. Zudem existiert eine erhebliche Unsicherheit über den Inhalt und die praktische Reichweite. Hier hat sich – so scheint es – Prof. Dr. Fischinger als Hauptkritiker hervorgetan, der in überaus deutlicher und rechtlich vollkommen nachvollziehbarer Weise gegen das Urteil des BAG vom 7.2.2019 Sturm läuft und die Konturenlosigkeit dieser Rechtsprechung problematisiert.
Jüngste Entscheidung des ArbG Gießen
So musste sich im vergangenen Jahr eines unserer Mitgliedsunternehmen ebenfalls die Frage nach der Rechtssicherheit einer bereits im Jahre 2019 abgeschlossenen Aufhebungsvereinbarung – also gut zwei Jahre vor Klageerhebung – stellen (ArbG Gießen, Urt. v. 9.9.2021 – 4 Ca 135/21).
Der Kläger war der Auffassung, sein ehemaliger Arbeitgeber – ein Mitgliedsunternehmen unseres Verbands – habe das Gebot fairen Verhandelns verletzt, weshalb nach seiner Auffassung der am 29.11.2019 zwischen den Parteien geschlossene Aufhebungsvertrag unwirksam sei.
Der 61 Jahre alte Kläger war bei unserem Mitgliedsunternehmen zuletzt als „Area Sales Professional“ in Teilzeit (50 %) beschäftigt. Die Teilzeitvereinbarung wurde im Jahre 2016 auf Wunsch des Klägers geschlossen und hatte ihren Grund in diversen gesundheitlichen Gebrechen. Durch die Reduzierung auf Teilzeit sollte dem Kläger seine Vertriebstätigkeit in einem leidensgerechten Umfang ermöglicht werden, wobei im Laufe des Verfahrens über einzelne Bestandteile dieser Teilzeitvereinbarung, insbesondere darüber, ob diese befristet oder unbefristet geschlossen wurde, Streit entstand.
Die Darstellungen der Umstände, wie die Aufhebungsvereinbarung zustande gekommen sein soll, lagen zwischen den Parteien diametral auseinander, wobei der Kläger den vermeintlichen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns insbesondere dadurch zu begründen versuchte, dass dessen damaliger Vorgesetzter ihn im Rahmen diverser Personalgespräche im Jahre 2019 – unter Ausnutzung einer vermeintlich bekannten psychischen Beeinträchtigung – zu verstehen gegeben habe, dass man ihn „loswerden“ und ihm „das Leben schwer machen“ wolle, wenn er einem Aufhebungsvertrag nicht zustimme. Dies habe man seitens des Arbeitgebers angeblich dadurch erreichen wollen, indem man den Kläger täglich ca. 75 km von Mittelhessen (aus dem Homeoffice) nach Frankfurt fahren lasse, um ihn dort in einem Büro mit dem direkten Vorgesetzten „eng zu führen“. Darüber hinaus sei die Abfindungssumme i.H.v. rund 81.000 Euro für die Betriebszugehörigkeit von knapp 35 Jahren viel zu niedrig bemessen worden.
Der Kläger beantragte festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch den Aufhebungsvertrag vom 29.11.2019 zum 29.2.2020 beendet wurde, sondern unverändert über den 29.2.2020 hinaus fortbestehe.
Vor dem Hintergrund, dass die dogmatische Herleitung der vorgenannten BAG-Entscheidung zumindest fragwürdig erscheint, ist es aus Arbeitgebersicht umso erfreulicher, dass das ArbG Gießen erfrischend nüchtern festgestellt hat, dass – selbst wenn man den Vortrag des Klägers in Gänze als wahr unterstellt – eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit noch nicht gegeben ist, nur weil die Arbeitgeberseite den Vertragsverhandlungsprozess „nicht gerade angenehm gestaltet“ hat. Hierbei erkennt das Gericht durch lebensnahe Betrachtung an, dass eine Vertragsverhandlung, bei der es um die Beendigung eines jahrzehntelangen Arbeitsverhältnisses und/oder um die Zahlung mehrerer zehntausend Euro Abfindung geht, nur selten ohne jeglichen Druck auskommt. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass zwei Parteien, die mit gegensätzlichen Interessen in eine Vertragsverhandlung gehen, auf die jeweils andere Partei mehr oder weniger Druck ausüben, um möglichst nahe an das verfolgte Ziel zu gelangen. Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass selbst das in Aussicht Stellen einer „engen Führung“ durch den direkten Vorgesetzten und einer Änderung des Vertriebsgebiets nicht dazu geführt hätte, dass aus Sicht des Klägers eine derart psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt worden wäre, die eine freie und überlegte Entscheidung des Klägers erheblich erschwert oder sogar unmöglich gemacht hätte.
Im konkret zu entscheidenden Fall war zwischen den Parteien unstreitig, dass sich die Vertragsverhandlungen über Monate hinzogen. Der Kläger hatte zwischen Zusendung des finalen Vertragsdokuments und der Unterzeichnung dessen zwei Wochen verstreichen lassen. Warum es dem Kläger über einen solch erheblichen Zeitraum nicht möglich gewesen sein soll, eine durchdachte Entscheidung über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses und deren Konditionen zu treffen, war für das Gericht nicht nachvollziehbar.
Die vom Kläger vorgetragene – angebliche – Drohung des Vorgesetzten mit unangenehmen Arbeitsbedingungen wäre allenfalls unter dem Aspekt einer widerrechtlichen Drohung i. S. d. § 123 BGB zu berücksichtigen gewesen. Ob die vom Kläger behauptete Drohung des Vorgesetzten tatsächlich als widerrechtlich zu bewerten gewesen wäre, konnte das Gericht dahinstehen lassen. Denn wäre der Kläger durch widerrechtliche Drohung zum Abschluss des Aufhebungsvertrags bewegt worden, hätte er gem. §124 BGB binnen Jahresfrist die Anfechtung erklären müssen. Dies ist allerdings unterblieben. Die Kammer führt weiter aus, dass die vorzitierte Entscheidung des BAG keinesfalls so zu verstehen ist, dass die §§ 123, 124 BGB im Arbeitsrecht durch das Gebot fairen Verhandelns abgelöst werden, mit der Folge, dass die Unwirksamkeit eines dem vertragsreuigen Arbeitnehmer nicht genehmen Aufhebungsvertrags bis zur Grenze der nach drei Jahren eintretenden Verjährung geltend gemacht werden kann. Das BAG habe vielmehr in einer besonders außergewöhnlichen Konstellation, in der gerade kein Anfechtungsgrund gegeben war, die Unwirksamkeit des dort geschlossenen Arbeitsvertrags auf die Verletzung des Gebots fairen Verhandelns gestützt. Abschließend hat das Gericht noch festgestellt, dass der zwischen den Parteien geschlossene Aufhebungsvertrag auch nicht aufgrund vermeintlich unfairer Konditionen unwirksam sei, schließlich handele es sich bei der Abfindung i.H.v. knapp 81.000 Euro nicht gerade um ein Handgeld zum Abschied, so die Kammer.
Die Entscheidung des ArbG Gießen ist mittlerweile rechtskräftig und kann bei den Verfassern angefragt werden.
Rechtsfolge
So wäre auch im soeben dargestellten Verfahren beim ArbG Gießen die Rechtsfolge im Falle eines Obsiegens des Klägers der Zustand herzustellen gewesen, der vor Abschluss des Aufhebungsvertrags galt. Der Kläger wäre also durchgehend Arbeitnehmer des Unternehmens geblieben, dafür hätte er die Abfindung zurückzahlen müssen. Ein Ergebnis, das ehrlicherweise weder die eine noch die andere Partei als besonders erstrebenswert angesehen haben dürfte. Dem Kläger dürfte i. d.R. wohl eher an einer höheren Abfindung gelegen sein, sodass die mögliche Rückkehr ins Unternehmen in den meisten Fällen lediglich als Druckmittel zur Erzielung eines attraktiven Vergleichs dienen dürfte.
Praxistipps
Damit ein Gericht nicht zu dem Ergebnis kommt, dass ein Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns geschlossen wurde und somit als unwirksam zu betrachten ist, sollten von der mit dem Aufhebungsvertragsabschluss betrauten Personalabteilung während des Verhandlungsprozesses folgende Punkte beherzigt werden:
- Lückenlose Dokumentation des Verhandlungsprozesses durch Personalabteilung: Es sollte insbesondere nachvollzogen werden können, welche Arbeitsvertragspartei welchen Vorschlag oder welchen Änderungswunsch hervorgebracht hat. Idealerweise kann so eine „echte“ Vertragsverhandlung dokumentiert werden, die ihren Namen auch verdient.
- Auf Arbeitgeberseite sollten zu Beweiszwecken mindestens zwei Personen beteiligt sein.
- Der Arbeitnehmerseite ist eine ausreichend lange Bedenkzeit für die Unterzeichnung der Vereinbarung einzuräumen (mindestens ein Tag, um „eine Nacht darüber zu schlafen“).
- Wenn der Arbeitnehmer vor Abschluss der Aufhebungsvereinbarung um Konsultation eines Rechtsbeistands bittet, sollte ihm dies gewährt werden, insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber selbst arbeitsrechtlich beraten ist.
- Der Aufhebungsvertrag sollte nicht zu einseitig, d. h. zu arbeitgeberfreundlich gestaltet werden. Eine gewisse Ausgewogenheit sollte zumindest auf den ersten Blick gegeben sein. Dies wäre z. B. dann schon der Fall, wenn dem Arbeitnehmer ein gutes Zeugnis in Aussicht gestellt wird.
- Für die Beantwortung der Frage, ob und in welcher Höhe eine Abfindung als fair anzusehen ist, kommt es entscheidend darauf an, von wem die Initiative zur Beendigung ausgeht. Will der Arbeitnehmer schnellstmöglich aus dem Arbeitsverhältnis heraus, um eine Folgebeschäftigung aufzunehmen, besteht zunächst einmal kein Anlass, eine Abfindung als Voraussetzung für ein faires Verhandeln anzusehen.
Ausblick
Es bleibt zu hoffen, dass die Instanzgerichte und das BAG in dem nun dort anhängigen Verfahren (Vorinstanz: LAG Hamm, Urt. v. 17.5.2021 – 18 Sa 1124/20) einer ausufernden Bejahung von Verletzungen des Gebots fairen Verhandelns Einhalt gebieten. Wenn man trotz der erheblichen Bedenken, die hinsichtlich der dogmatischen Herleitung des Gebots fairen Verhandelns bestehen, diese Fallgruppe ernst nimmt, so muss für die Rechtsanwender und insbesondere für die Gerichte klar sein, dass das Gebot fairen Verhandelns nur in absoluten Ausnahmefällen verletzt sein dürfte. Es darf nicht dazu führen, dass einer vertragsreuigen Partei eine Art „Superanfechtungsrecht“ an die Hand gegeben wird, das innerhalb der dreijährigen Regelverjährung ausgeübt werden kann.